2011/12 – Woyzeck

„Was ist das, was in uns hurt, lügt, stiehlt und mordet?“ Als Arzt und Psychologe gab Büchner sich nicht mit vordergründigen Motiven zufrieden, sondern suchte nach den Tiefgründen menschlichen Handelns.

Büchner seziert die Seele seines Helden ohne diesen vorzuführen. Der Einzelne scheint dabei nur begrenzt verantwortlich für sein Tun, soziale Not, gesellschaftliche Zwänge bestimmen neben persönlichen Interessen das menschliche Handeln. „Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nicht, nichts wir selbst!“
Woyzek PlakatDer Soldat Woyzeck hat keine Moral, denn er hat ein Kind ohne den Segen der Kirche und als Soldat unterliegt er dem Heiratsverbot. Trotzdem verhält er sich gegenüber Mutter und Kind anständig, denn er sorgt für die Beiden. Der Preis ist die völlige Selbstaufgabe, denn er muss verschiedene Nebenjobs annehmen, um das nötige Geld aufzubringen und die materielle Not des armen Soldaten wird von seiner Umwelt gnadenlos ausgenutzt: So wird er Opfer medizinischer Versuche, die letztendlich zu Wahnvorstellungen und Impotenz führen; sein Hauptmann demütigt ihn, da er sich aufgrund seines Standes überlegen fühlt. All dies kann Woyzeck ertragen, bis er seine Geliebte Marie an einen jungen, kräftigen und gesellschaftlich höher gestellten Nebenbuhler verliert – jetzt ist ihm genommen, was Mittelpunkt seines Lebens war und ihm bleibt nur die Verzweiflung.
Georg Büchner verarbeitet in seinem Drama den Fall des arbeitslosen Soldaten und Perückenmachers J.C. Woyzeck. Der Fall Woyzeck wurde seinerzeit zum Medienereignis: Am 3. Juni 1821 ersticht er seine Geliebte, die 46-jährige Witwe Woost, weil sie mit einem anderen ausgegangen war. Nach der Tat lässt er sich widerstandslos festnehmen. Der Verteidiger wirft die Frage auf, ob der Täter überhaupt recht bei Verstand sei und regt eine gerichtsärztliche Beobachtung von Woyzecks Geisteszustand an:
In einem berühmt gewordenen medizinischen Gutachten wird zwar festgestellt, dass Woyzeck „öfters von Stimmen heimgesucht worden sei, die ihm den Mord befohlen“ haben. Trotzdem sei die Tat „ein Ergebnis von moralischer Verkommenheit und sexueller Zügellosigkeit“. 1824 wird Woyzeck auf dem Leipziger Marktplatz vor einer großen Menschenmenge hingerichtet.
Mit kriminalistischem Spürsinn deckt Büchner Gründe für die Wahnsinnstat auf und entlarvt die sogenannte gute Gesellschaft als Mitschuldige – Idealismus und Aufklärung werden als bürgerliche Philosophien demaskiert, die der Alltagsrealität des einfachen Volkes enthoben sind und daher für die Armen auch keine gültigen Verhaltensnormen bieten können.