Wo die Musik anfängt, hört der Spaß auf
Unter Anspielung auf bekannte musikalische Genres wie die Ouvertüre, den Triumphmarsch oder das Chanson der zwanziger Jahre erreicht die Komponistin Susanne Hinkelbein die Ohren der Besucher dieser so genannten „Oper vom großen Hohngelächter“, um dann das ungetrübte Hörvergnügen nachhaltig zu verstören.
Dies gilt besonders für die Songs und Chorstücke. Wähnt sich der Zuhörer zunächst noch in einem tonalen Zusammenhang, muss er diese Vorstellung bald aufgeben. Schräge, stark dissonante Intervallsprünge verweisen ihn auf den Text und lassen den Zuhörer z.B. erkennen, wie die Liebe zu einem mechanischen Kopulationsakt mutieren kann, bei dem Gefühle nicht vorgesehen sind. Ein anderer Song vermittelt dem Zuhörer, dass zum Vortäuschen des äußeren Scheins alle Mittel recht sind.
Daneben können aber auch Text und Musik in einem äußerst widersprüchlichen Verhältnis zueinander stehen. So kommt der masochistische Wunsch nach körperlichen Verletzungen durch den Geliebten im Kleid der Terz- und Sextenseeligkeit daher, die förmlich von Alpenglühen erfüllt ist.
Fasziniert hat mich in seiner musikalisch – textlichen Gestaltung der Titel „Tanz, tanz mit mir“. Frauen analysieren hier ihre geschlechtsspezifische Situation. Schon fast zwanghaft bieten sie sich in einem von der Taktsprache, der Tonalität und der Satztechnik her bizarr gestalteten Tanz dem Mann an im gleichzeitigen Wissen um ihre Abhängigkeit. Ebenso klar ist ihnen, dass ihre Wünsche in seelischer und körperlicher Hinsicht nie erfüllt werden können. Sie kleiden diese unerfüllten Sehnsüchte in dreistimmige Akkordfolgen, die – obgleich harmonisch – kein gewohntes Klischee erfüllen. In schonungslosem Rezitationston formulieren sie die Erkenntnis, dass gerade die Schwäche des Mannes sie dazu verdammt, immer abwechselnd in der Rolle der Mutter oder der Hure zu verharren.
Die Ausführung dieser komplex gearbeiteten Musik stellt für die Ausführenden eine Herausforderung dar, der sich die Schülerinnen und Schüler mit Elan und Erfolg gestellt haben. Nun sind Sie, das Publikum, gefragt, diese Zumutungen der Musik und der Texte anzunehmen. Konsum war gestern…
Vincent Eissing-Boyny