„Was in uns hurt, lügt, stiehlt, mordet“
Oberstufentheater des Schenk – von – Limpurg – Gymnasiums inszeniert „Woyzeck frei nach Georg Büchner
Ein Fragment hat Georg Büchner mit seinem „Woyzeck“ hinterlassen. Die Oberstufen – Theater AG des Schenk – von – Limpurg – Gymnasiums hat daraus ein stimmiges und fesselndes Drama geformt.
„Bin ich ein Mörder? Was gafft ihr so? Gafft euch selbst an!“ sind Woyzecks (Phillip Perus) letzte Worte an alle: die erstarrte Gemeinschaft auf der Bühne, das Publikum, dann geht er ab. Vor uns liegt Marie (Susanne Erhardt), aufgebettet auf einem schwarzen Altar, hinter uns eine gewaltige Vorstellung dessen, wie ein Mensch in den völligen Wahnsinn getrieben wird.
Regisseur Thomas Höll hat in seiner neuen Produktion am SvLG ein starkes Ende inszeiniert, das den Zuschauer packt und festhält. Der letzte Szenenapplaus ist zunächst noch verhalten, dann feiert das Publikum lautstark das vierzehnköpfige jugendliche Ensemble und die gelungene Premiere.
Bestürzende Wandlung vom Opfer zum Täter
Die Frage nach Woyzecks Motiv für die grauenvolle Tat stellt das Zentrum von Büchners Sozialdrama dar, der die junge Theatergruppe mit einem ausgeprägten Gefühl füreinander nachgeht. Franz Woyzeck ist ein guter Mensch, denn er kümmert sich aufopfernd um seine illegitime Familie. Weil sein geringer Lohn nicht ausreicht, muss er Nebenverdienste einholen und sich selbst völlig aufgeben.Der obligatorischen Frage nach der Anfangsszene des Dramenfragments ohne feste Reihenfolge begegnet Thomas Höll ganz klassisch: Woyzeck und sein Kamerad Andres (Désirée Mohn) schneiden Weidenstöcke auf dem Feld, als Woyzeck bereits zum ersten Mal Halluzinationen hat. Phillip Perus als Franz Woyzeck geht in seiner Rolle voll auf und überzeugt auf ganzer Strecke. Als Zuschauer leidet man gleichermaßen mit Woyzeck, wie man zutiefst bestürzt ist über seine Wandlung vom Opfer zum Täter. Dabei in seinem Leid nicht wahrgenommen wird er von seinem Freund Andres, den Désirée Mohn ganz im Sinne des Autors als eindimensionalen Charakter anlegt, der so im Kontrast zu Woyzeck stehen kann.
Woyzeck wird zum Opfer der gewissenlosen Doktorin, für deren medizinischen Menschenexperimente er fortan nur noch Erbsen essen darf. Als Ergebnis der Versuche leidet er unter Wahnvorstellungen. Rebekka Lauer demonstriert mit schneidiger Mimik und Gestik und einem herabwürdigenden Tonfall pedantisch die strenge Rolle der Akademikerin, die „vier Ehemänner“ überlebt hat und der selbst der Hauptmann im Diskurs klar unterlegen ist. Mit einem dicken Kostümbauch gibt Stefanie Beuter einen sehr gemütlichen, abgestumpften Vorgesetzten Woyzecks.
Susanne Erhard wandelt sicher auf dem schmalen Grat zwischen Treue und Liebesbegierde die die Rolle der Marie ausmachen. Das stellt sie in den spannungsgeladenen Szenen mit Phillip Perus und Leonardo Bellanova, durch den der Tambourmajor seine imponierende Gestalt erhält, eindrucksvoll unter Beweis. Mit letzterem lässt sie sich einige Male auf sehr intime Momente ein, die dem Stück eine gewissen Reife verleihen.
Erhard, Perus und Bellanova funktionieren spielerisch als Einheit fantastisch: Maries Beziehung zum gesellschaftlich höher gestellten Tambourmajor vergrößert spürbar die Distanz zu Woyzeck. Dem Mittelpunkt seines Lebens beraubt, bleibt ihm nichts weiter als die schiere Verzweiflung, in der ihm schließlich unbekannte Stimmen befehlen Marie zu töten.
Pointiert schließen alle Szenen mit einem Blck – Out ab und werden in den Übergängen von Vincent Eissing – Boyny am Flügel musikalisch reflektiert. Das harmoniert zum einen gut mit dem fragmentarischen Aufbau von Büchners unvollendeten Drama, zum anderen entwickelt sich daraus aber auch eine gleichbleibende Routine, die teilweise das Spieltempo bremst.
Zwischendurch beschwingen effektvolle Show- und Stunteinlagen allen voran von Steven Perus die bezwingend düstere Szenen. Einmal tritt er gemeinsam mit zwei Marktschreiern (Vera Steigerwald und Lena Kronmüller) auf, ein anderes Mal gehört er einem Trio Betrunkener an, die angeheitert über die Bühne stürzen. Beides lockert die Tragödie ein wenig auf und kommt beim Publikum gut an.
Unkonventionelles Bühnendesign, klassische Kostüme
Das Bühnenbild, welches vom Literaturkurs entworfen wurde, ist schlicht gehalten. Schwarz und Weiß dominieren das Bild. In der Mitte der Bühne ruht ein schwarzer, ungeschmückter Altar, der so karg und steril wirkt wie ein Operationstisch oder ein Totenbett, wozu er letztlich auch wird. Von oben herab scheint symbolhaft für die Lust und Sexualtität des Stücks ein übergroßer, roter Kussmund. Links und rechts eröffnen zwei gewinkelte, schwarz und weiß kontrastierte und beschriebene Stellwände Spielräume für die Akteure – hier erscheint beispielsweise einmal, nur von einem Spot beleuchtet, Maries verführerisches Bein, bevor sie auf die Bühne tritt.
Das unkonventionelle Bühnendesign trifft auf relativ klassische Kostüme, was die Ambivalenz, die sich überall im Stück finden lässt, illustriert. Während man Woyzeckvon außen betrachtet leicht als Psychopaten abtun könnte, beschäftigt sich die Inszenierung des Oberstufentheaters mit dem Individuum und lässt seine Reaktion auf den ihn umgebenden Irrsinn als angemessen erscheinen. Weitere Darsteller: Magdalena Knupfer, Lea Hübner, Philipp Noller, Laura Bader, Eva Walch.
von Johannes Mohn Gaildorfer
Mit freundlicher Genehmigung der Rundschau vom 25. Oktober 2011